6. September 2021

Das Bauen mit Holz hat auch eine sehr politische Dimension!

Interview mit Zimmermeister und Holzbauunternehmer Erwin Taglieber über Holzhäuser als Klimaretter und seine Pläne als Doppelpräsident von DHV und DHWR

Zimmermeister Erwin Taglieber wurde Mitte des Jahres zum neuen Präsidenten des Deutschen Holzwirtschaftsrates (DHWR) gewählt. Schon seit vielen Jahren ist er zudem Präsident des Deutschen Holzfertigbau-Verbandes (DHV), der unter seiner Ägide auf über 240 Mitgliedsunternehmen angewachsen ist. Wir fragten ihn nach seinen Plänen, die er als oberster Repräsentant zweier einflussreicher Wirtschaftsvereinigungen für den Holzbau in Deutschland hat:

Redaktion: Meinen Glückwunsch vorab an den gewählten neuen Präsidenten des DHWR. Damit übernehmen Sie eine weitere, auf Bundesebene äußerst wichtige Funktion für den Holzbau, die Sie bei politischen Weichenstellungen zu einem zentralen Ansprechpartner macht. Lassen Sie mich unser Gespräch jedoch mit einer persönlichen Frage beginnen: Sie sind schon seit vielen Jahren Präsident des DHV und darüber hinaus auch als Kommunalpolitiker gefordert – was motiviert einen Mann wie Erwin Taglieber, gleich mehrere Ämter auszuüben?

Erwin Taglieber: Nun, wenn ich das recht sehe, liegt der Grund für meine Bereitschaft, Pflichten und Verantwortung zu übernehmen, in meiner Erziehung. Ich bin in Bayern auf dem Land großgeworden. In meiner Familie wie in unserem Dorf war und ist das Miteinander seit jeher das Wichtigste. Jeder hilft jedem. Diese Erfahrung prägt. Engagement für das Gemeinwohl ist mir von daher wohl in die Wiege gelegt. Und natürlich, wenn ich etwas anfange, dann will ich es auch mit Erfolg zu Ende bringen. Nicht nur irgendwie, sondern stets so gut wie irgend möglich.

Redaktion: Bleibt bei aller Verbands- und Gremienarbeit, die Sie ehrenamtlich leisten, neben all den Sitzungen und Terminen, die Sie tagein, tagaus absolvieren, überhaupt noch Platz für so etwas wie Freizeit?

Erwin Taglieber: Wenn ich mir die vor uns liegenden Herausforderungen anschaue, die es in unserem Land zu meistern gilt, wenn ich mir außerdem vor Augen führe, dass die Erderwärmung keine Pause macht und sich das Klima schneller als uns lieb sein kann verändert, sind wir alle gut beraten, die Ärmel spätestens jetzt hochzukrempeln und alles dafür zu tun, dass dieser Planet bewohnbar bleibt. Trotz all den Terminen ist mir mein Hobby, das Fahrradfahren und Wandern, sehr wichtig.

Redaktion: Europa soll bis 2040 klimaneutral werden. Das funktioniert, wenn überhaupt, nur mit einer deutlichen Verschärfung der CO2-Reduktionsziele. Folglich ist davon auszugehen, dass der Klimaschutz als politischer Entscheidungsmaßstab in Zukunft eine immer größere Rolle spielen wird – wahrscheinlich sehr weit über die bevorstehende Bundestagswahl hinaus… Welche Konsequenzen hat das für den Bausektor?

Erwin Taglieber: In Deutschland rühren derzeit 40 Prozent aller klimaschädlichen Kohlendioxidemissionen vom Baugeschehen her. Diesen viel zu hohen Anteil müssen wir unverzüglich drastisch reduzieren! Das kann dadurch erreicht werden, dass wir einerseits viel konsequenter als bisher die Nutzung regenerativer Energiequellen wie etwa Windkraft, Wasserkraft und Sonnenstrahlen vorantreiben; andererseits muss es uns mit vereinten Kräften gelingen, die Holzbauquote in ganz Deutschland über alle Gebäudeklassen hinweg zu erhöhen. Schließlich kann einzig der Baustoff Holz Kohlendioxid in relevanten Mengen aufnehmen und für die gesamte Nutzungsdauer in sich speichern. Daraus lässt sich unschwer ableiten, dass Holz als Baustoff Vorrang vor allen anderen Materialien gebührt, und zwar sowohl bei kommunalen, gewerblichen wie privaten Bauvorhaben.

Redaktion: Wir brauchen also einen Quantensprung, um im Neubausektor einen Holzbau-Anteil zu erreichen, der einen spürbaren Beitrag zum Schutz vor weiterer Erderwärmung leistet?

Erwin Taglieber: Die aktuelle Holzbau-Quote von weit mehr als einem Drittel in Baden-Württemberg zeigt, dass es geht. Mit einem Anteil von rund einem Fünftel in Bayern, Rheinland-Pfalz und Hessen sind wir ebenfalls auf einem guten Weg. Allerdings ist das alles in allem noch nicht einmal die halbe Miete, wenn es uns um eine möglichst effiziente Absorption des CO2-Aufkommens geht.

Redaktion: Die Steigerung der Holzbauquote wird unter Klimaschutzaspekten somit quasi zum Staatsziel und nützt allen?

Erwin Taglieber: Diese Schlussfolgerung liegt nahe! Das bedeutet dann natürlich auch, dass sowohl beim privaten Eigenheimbau als auch bei öffentlichen Bauvorhaben und ebenso im Wirtschaftsbau das Bauen mit Holz Vorrang vor dem Einsatz anderer Baumaterialien haben muss, die unter hohem Energieverbrauch hergestellt werden.

Redaktion: Wäre eine gesetzlich festgeschriebene Mindest-Holzbauquote hilfreich?

Erwin Taglieber: Es gibt einige Fachleute, die das durchaus befürworten. Ich selbst bin allerdings von Natur aus eher gegen Vorschriften und Zwänge; die reizen doch nur zu Widerspruch und Widerstand. Mir ist lieber, die Menschen verstehen, dass grundlegende Veränderungen in unseren Lebensbedingungen – und genau davon sprechen wir beim Thema Klimawandel – individuelle Verhaltensanpassungen erfordern. Wir können ja nicht einfach so tun, als ginge uns das Klima auf der Erde nichts an, als wären Erderwärmung, Starkregenereignisse wie die verheerenden Überflutungen in Rheinland-Pfalz und NRW, lange Trockenperioden usw. Probleme „der anderen“. Nein! Es kommt auf jeden Einzelnen von uns an. Wir müssen unsere Komfortzone verlassen und unmittelbar in unserem eigenen Lebensbereich schauen, was wir konkret tun können. damit es für uns alle auf der Erde erträglich bleibt.

Redaktion: Wie sieht der Weg in die „enkelfähige“ Zukunft konkret aus?

Erwin Taglieber: Jetzt ist die Zeit zu handeln, nicht irgendwann oder vielleicht noch später… Ob unsere Enkel etwas davon haben, was wir hier und heute tun, hängt davon ab, dass wir beherzt mit klaren Maßnahmen anpacken, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Klimaschutz kann nicht vertagt werden!

Redaktion: Welche Maßnahmen sind jetzt zu beschließen?

Erwin Taglieber: Als Präsident von DHV und DHWR möchte ich durchsetzen, dass für jedes Haus in Deutschland – für jeden Neubau wie für jeden Altbau – ein Gebäudepass erstellt wird, der Auskunft über die tatsächlichen CO2-Emissionen gibt. Dieser Wert ist ebenso als Besteuerungsgrundlage heranzuziehen wie als Maßstab für die Förderwürdigkeit gebäudespezifischer energetischer Sanierungen. Fordern und fördern ist das politische Prinzip, von dem ich mir im Hinblick auf die Reduktionsziele im Bausektor am meisten verspreche. Wenn klar ist, dass hoher Energieverbrauch bei der Produktion von Baumaterialen ebenso wie hohe CO2-Emissionen automatisch umso höhere Kompensationszahlungen nach sich ziehen, werden sich Altbaubesitzer im eigenen Interesse mit Fragen der energetischen Modernisierung befassen. Ebenso werden sich Bauherren für Materialien entscheiden, die zur Herstellung keine Unmengen an grauer Energie (Herstellungsenergie; Anm. d. Red.) erfordern. Weiterhin müssen Rückbaubarkeit, Trennbarkeit in sortenreine Fraktionen und eine höchstmögliche Wiederverwertbarkeit zum Verbau bestimmter Materialien gegeben sein. Darin sehe ich neben einem ganzen Bündel weiterer Erfordernisse wichtige Anreize, um sich bewusst für das Bauen mit Holz und aktiven Klimaschutz zu entscheiden.

Redaktion: Herzlichen Dank, Herr Taglieber, dass Sie sich für die Beantwortung unserer Fragen Zeit genommen haben.

Das Interview mit DHV- und DHWR-Präsident Erwin Taglieber führte der Stuttgarter Baufachjournalist Achim Dathe M.A. (abp) am 8. Juli 2021 im Unternehmen Taglieber Holzbau GmbH in Oettingen/Bayern.

Erwin Taglieber ist gelernter Zimmermeister, erfolgreicher Holzbauunternehmer, aktiver Kommunalpolitiker und gewählter Präsident des Deutschen Holzfertigbau-Verbandes (DHV) sowie seit diesem Jahr zugleich Präsident des Deutschen Holzwirtschaftsrates (DHWR). (Foto: Philipp Tuffentsammer für die Taglieber Holzbau GmbH im DHV, Ostfildern)

Holz, so weit das Auge reicht: Mustergültig ökologisch gebaut ist dieser Kindergarten, den ein DHV-Mitgliedsunternehmen nach den strengen Qualitätsanforderungen der Gütegemeinschaft Deutscher Fertigbau (GDF) geplant, vorgefertigt und errichtet hat. (Foto: Christian Ziegler für Gumpp & Maier Holzbau im DHV)

Das Beste für die öffentlichen Gelder: Verwaltungsgebäude wie das Umweltbundesamt (UBA) in Berlin lassen sich bedarfsgerecht und klimaschonend aus Holz errichten. (Foto: Andreas Meichsner/BBR für Holzbau Weizenegger im DHV)

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